Einsetzungsbeschluss

Einsetzungsbeschluss des Deutschen Bundestags (Drucksache 17/950)

 

Deutscher Bundestag Drucksache 17/950, 17. Wahlperiode

Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 03. 03. 2010

Einsetzung einer Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag setzt eine Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ein.

I. Ausgangslage

Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt und trägt maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei. Die digitale Gesellschaft bietet neue Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Einzel- nen ebenso wie neue Chancen für die demokratische Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens, für die wirtschaftliche Betätigung und für die Wissensgesellschaft. Die Nutzung dieser Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten gehört längst zum Alltag der überwältigenden Mehrheit der Menschen in unse- rem Land. Nun erleben wir eine erneute Veränderung: Das Internet ist nicht länger nur eine technische Plattform, sondern entwickelt sich zu einem integralen Bestandteil des Lebens vieler Menschen, denn gesellschaftliche Veränderungen finden maßgeblich im und mit dem Internet statt. Die Menschen benötigen heute neue Kenntnisse und Fähigkeiten. Dazu zählen beispielsweise die Auswahl, die Einordnung und die Bewertung der nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehenden Informationen. Die Grundrechte und in besonderem Maße das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müssen geachtet und geschützt werden. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, das Internet als freiheitliches Medium zu schützen. Die Bürger bauen darauf, dass der Rechtsstaat durch Rahmenbedingungen die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sicherstellt. In autoritär geführten Staaten, in denen die klassischen Medien zensiert und staatlich kontrolliert werden, können wir beobachten, welche Chancen das Internet für Demokratie, Meinungsfreiheit und eine unabhängige Berichterstattung birgt. Für die Bürgerinnen und Bürger, für Wirtschaft und Wissenschaft ist ein freier, ungehinderter Zugang zum Internet von großer Bedeutung und entscheidet mit über den Wohlstand unserer Gesellschaft. Verbraucher müssen über ihre Rechte und Pflichten im elektronischen Handel informiert sein. Der Rechtsrahmen muss der digitalen Gesellschaft angepasst sein, um starke Verbraucherrechte zu gewährleisten. Das Internet führt zu einer tiefgreifenden Veränderung des Medienverhaltens und schafft völlig neue Möglichkeiten für den Vertrieb und die Nutzung kreativer Inhalte und künstlerischer Werke. Das Verständnis für die Bedeutung des Urheberrechts zu fördern und geistiges Eigentum zu achten, ist zugleich eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Kinder und Jugendliche, die mit den neuen Technologien des digitalen Zeitalters aufwachsen, nutzen diese anders als die Generation ihrer Eltern. Dennoch müssen sie auf mögliche Gefahren der digitalen Gesellschaft vorbereitet, ihre Fragen beantwortet und sie zu einem sicherheitsbewussten Verhalten hingeführt werden. Im Jugendschutz sind noch Verbesserungen möglich. Dabei ist uns bewusst, dass die Gefahren für Kinder und Jugendliche durch Verbote oder technische Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden können. Deshalb muss die Medienkompetenz auch von Kindern, Jugendlichen und Eltern gestärkt werden. Nicht alle können die Chancen der digitalen Gesellschaft gleichermaßen wahrnehmen. Menschen ohne die Möglichkeit und Fähigkeit zur Teilnahme bekommen zunehmend Probleme. Aufgabe von Politik und Gesellschaft ist es, einer digitalen Spaltung der Gesellschaft entgegenzutreten. Das Internet macht nicht an Landesgrenzen halt. Vielmehr macht die globale Entwicklung des Internets deutlich, dass es neue internationale Ansätze geben muss, die politischen Fragen der Digitalisierung zu beantworten.

II. AuftragDer Deutsche Bundestag beauftragt die Enquete-Kommission insbesondere folgende Schwerpunkte – unabhängig von und zusätzlich zu aktuellen Gesetzgebungsverfahren – zu untersuchen: ● Kultur und Medien

  • Erhaltung und Sicherung von Medien- und Meinungsfreiheit und -vielfalt
  • und der Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit
  • Stärkung der Medienverantwortung und Medienkompetenz bei Anbietern und Nutzern
  • Folgen der Digitalisierung für den Rundfunk und die Printmedien und die Herausforderungen für die Medien- und Kommunikationsordnung
  • Veränderungen der Produktion, Distribution und Nutzung von künstleri- schen Werken und kreativen Inhalten
  • Maßnahmen zur digitalen Sicherung und langfristigen Archivierung des kulturellen Erbes und seiner Nutzung

● Wirtschaft, Umwelt

  • Auswirkungen der Entwicklung großer globaler Internetkonzerne
  • Klima-, umwelt- und ressourcenschonende Gestaltung der Informationstechnik
  • Beitrag der Informationstechnik zum Umwelt- und Klimaschutz
  • Veränderungen der Arbeitswelt durch neue Medien

● Bildung und Forschung

  • Verbesserung der Medienkompetenz, Medienerziehung in Schule, Hochschule sowie Aus- und Weiterbildung im Sinne eines lebenslangen Lernens
  • Internationale Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft
  • Strategien zur Vermeidung der digitalen Spaltung
  • Open-Access-Initiativen zum freien Zugang zu den Ergebnissen staatlich finanzierter Forschung
  • Weiterentwicklung und Definition offener Standards und Normen, Be- deutung von Open Source, freier Software und Interoperabilität

● Verbraucherschutz

  • Verbraucherschutzpolitik in der digitalen Gesellschaft und Anforderun-
  • gen an einen internationalen Verbraucherschutz
  • Rechtssicherheit im elektronischen, auch grenzüberschreitenden Handel
  • Sicherstellung des Verbraucherschutzes bei missbräuchlichen massenhaf- ten Abmahnungen

● Recht und Innen

  • Wahrung des Grundrechtsschutzes, insbesondere des Persönlichkeitsrechts
  • Zukunft des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
  • Rechtliche und technische Voraussetzungen für Datenschutz und Datensicherheit
  • Auswirkungen und Perspektiven neuer Protokolle in digitalen Netzen
  • Anonymität, Pseudonymität und Identitätsmanagement im Internet
  • Bedeutung der Netzneutralität für eine neutrale Datenübermittlung und einen freien und ungehinderten Zugang zum Internet
  • Maßnahmen zum Schutz der Funktionalität kritischer Netzinfrastrukturen
  • Bedrohungen durch Computer- und Internetkriminalität, -terrorismus, -spionage und -sabotage
  • Stärkung des Bewusstseins für den Wert geistigen Eigentums; Entwicklungen des Urheberrechts in der digitalen Gesellschaft
  • Jugendschutz in den neuen Medien
  • Konsequenzen aus der Konvergenz von Medien- und Telekommunika- tionsanbietern
  • Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsdurchsetzung in weltweiten Netzen

● Gesellschaft und Demokratie

  • Weiterentwicklung der eGovernmentdienstleistungen und des eParlament des Deutschen Bundestages
  • Open-Data-Strategien für einen freien Zugang zu staatlichen Informatio- nen
  • Soziologische Auswirkungen der Digitalisierung auf den Einzelnen und die Gesellschaft
  • Möglichkeiten für neue Formen der Teilhabe, der Bürgerbeteiligung und Nutzung neuer Partizipationsformen.

Als eine Grundlage der Bestandsaufnahme kann der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung dienen. Eine weitere Grundlage der Bestandsaufnahme können die Berichte der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ der 13. Legislaturperiode sein.

III. Beteiligung

Die Enquete-Kommission bezieht die Öffentlichkeit in besonderem Maße in ihre Arbeit mit ein. Über die Arbeit der Kommission wird regelmäßig und so transparent wie möglich auf der Internetseite des Deutschen Bundestages infor- miert. Dort werden zudem Beteiligungsmöglichkeiten angeboten, die Anregungen aus der Öffentlichkeit in geeigneter Weise in der Arbeit der Kommission einfließen lassen können.

IV. Handlungsempfehlungen

Die Enquete-Kommission soll politische Handlungsempfehlungen erarbeiten, die der weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen der Informationsgesellschaft in Deutschland dienen. Die Enquete-Kommission soll auf Basis ihrer Untersuchungsergebnisse den staatlichen Handlungsbedarf, national und international, benennen.

V. Zusammensetzung

Der Enquete-Kommission gehören 17 Mitglieder des Deutschen Bundestages und 17 Sachverständige an. Die Fraktion der CDU/CSU benennt sechs Mitglieder, die Fraktion der SPD vier Mitglieder, die Fraktion der FDP drei Mitglieder und die Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN je zwei Mitglieder. Für jedes Mitglied des Deutschen Bundestages kann ein stellvertretendes Mitglied benannt werden. Die Sachverständigen werden im Einvernehmen der Fraktionen benannt. Kann ein Einvernehmen nicht hergestellt werden, so benennen sie die Fraktionen nach dem vorgenannten Schlüssel.

VI. Zeitplan

Die Enquete-Kommission soll sich unverzüglich konstituieren und bis zur parlamentarischen Sommerpause 2012 ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorlegen, damit noch in der 17. Legislaturperiode erste Umsetzungsschritte erfolgen können. In einem Zwischenbericht sind erste Ergebnisse und Handlungsempfehlungen zu einzelnen Teilbereichen der behandelten Themen bis Ostern 2011 vorzulegen. Berlin, den 3. März 2010 Volker Kauder, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) und Fraktion Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion Birgit Homburger und Fraktion Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion